EIN INTERVIEW ÜBER DIE ANGST UND WAS WIR VON IHR LERNEN KÖNNEN
Bahar Yilmaz
Bahar, eigentlich ist es eine natürliche Reaktion, Ängsten aus dem Weg zu gehen, sich nicht mehr als nötig mit ihnen zu beschäftigen. Du widmest dich in deinen Teachings aber ganz intensiv der Angst. Warum?
Angst ist vielleicht eine natürliche Reaktion unseres Körpers auf Situationen, die gefährlich sind oder gefährlich zu sein scheinen. Unsere Seele und unser Herz kennen jedoch keine Angst. Ich spreche in diesem Kontext auch nicht von der Angst vor realen Gefahren, sondern von der Angst, die in uns als Geschichten und Gedanken auftauchen, weil wir mit unserem Leben und unseren Emotionen nicht klarkommen. Angst zu haben, ist nicht das Problem. Dass uns die Angst aber lähmt und davor zurückhält, unsere Wahrheit und unsere Seelenaufgabe zu leben, das ist das Problem. Und genau diese Angst wollen wir – ich und mein Partner Jeffrey Kastenmüller – mit unserer intensiven Transformationsarbeit transzendieren. Dabei geht es gar nicht vordergründig darum, die Angst aufzulösen, sondern sie als Benzin für unsere innere Kraft zu nutzen und unseren Weg unaufhaltsam zu gehen.
Wovor aber fürchten sich, deiner Erfahrung nach, die meisten Menschen besonders stark?
Die größte Angst im spirituellen Sinne ist, die Entdeckung zu machen, dass wir selber tatsächlich so großartig, so mächtig, so stark und so unverwundbar sind, wie unser innerster Kern uns das deutlich machen will. Unsere Angst ist, dass wir herausfinden, dass wir uns tatsächlich über Jahre oder sogar Jahrzehnte etwas anderes eingeredet haben und uns selbst belogen haben. Da dürfen wir alle durch einen Vergebungsprozess gehen und unsere eigene Großartigkeit umarmen und leben. Diese Angst davor, nicht gut genug zu sein, schwach und hilflos, wurde und wird von unserer leistungs- und konsumorientierten Gesellschaft genährt und getriggert. Menschen, die von Angst gelähmt sind, können viel leichter kontrolliert werden. Aber: Wir haben die Chance, uns davon zu befreien.
Haben wir Menschen uns in den letzten Jahren bezüglich unserer Angst also auch verändert?
Im Laufe des globalen Shifts von der alten auf die neue Erde sind ganz neue Ängste in den Vordergrund getreten. Heute sind es keine Existenzängste mehr, die uns zu schaffen machen, sondern die Angst davor, nicht gehört zu werden, den eigenen Weg nicht gehen zu können, sich selbst und den Seelenweg zu verfehlen und im Laufe des Lebens nie entdecken zu können, wie stark und liebevoll wir sein können.
Wenn man sich das aktuelle Weltgeschehen anguckt, gibt es genügend Gründe, sich zu sorgen. Wie können wir damit umgehen, wenn wir uns von der Welt überfordert fühlen?
Angst ist ein Virus auf unserer Erde und wir werden nie etwas daran ändern können, dass wir Angst empfinden. Was mir persönlich aber hilft, ist immer wieder daran zu denken, dass ich als Seele genau diese Erfahrung gewählt habe und genau wusste, auf was ich mich einlasse. Also stehe ich jetzt zu dieser Entscheidung und gebe mein Bestes, um diese Erde auf ein nächstes Level zu bringen.
Wirkt sich unsere Furcht eigentlich auch auf unsere Beziehungen aus?
Die Menschen, die wir am meisten lieben, stellen meist auch eine Projektionsfläche für unsere Angst dar. Manchmal wälzen wir unsere Angst direkt auf sie ab und suchen in ihnen die Verantwortlichen dafür, dass wir selbst nicht in unserer Kraft sind. Dadurch können Beziehungen zerstört werden und das finde ich so traurig. Wenn wir es schaffen, unsere Angst vor unserer eigenen Größe in Kraft und Sicherheit zu verwandeln, wird das einen immens positiven Effekt auf all unsere Beziehungen haben. Wir werden den Menschen viel offener und liebevoller begegnen und in ihnen nicht mehr unsere eigenen Unzulänglichkeiten sehen.
»Ich habe immer noch Angst, aber diese Angst treibt mich an.«
Du sprichst davon, Ängste umzuwandeln. Können wir sie nicht auflösen und »fearless«, also angstfrei, leben?
Ein Leben ohne Angst ist nicht möglich. Aber ein Leben mit der Angst als Verbündeter ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, unseren eigenen Weg des Herzens zu gehen. »Fearless« steht für uns symbolisch für den Bewusstseinszustand, der auf tiefer Integrität und Mut basiert. Ein Zustand, der nicht von Angst wegrennt, sondern auf die Angst zuläuft, sie versteht, durchschaut und dann zu einer inneren Kraft werden lässt, die dich durch jede Herausforderung fliegen und gleiten lässt.
Wie ist es bei dir, fürchtest du dich heute vor gar nichts mehr?
Ich habe immer noch Angst, aber diese Angst treibt mich an. Früher hat sie mich blockiert und davon zurückgehalten, meine Wahrheit zu sprechen, mich zu zeigen. Ich hatte so panische Angst davor, dass Menschen mich verurteilen oder ablehnen. Heute stelle ich mich ganz bewusst diesen Erfahrungen und gehe einfach meinen Weg. Dadurch verliert die Angst immer mehr und mehr die Kraft über mich.
Wie hast du es geschafft, deine eigenen Ängste zu überwinden?
Es gab nicht Tag X, an dem ich mich meinen Ängsten gewidmet habe. Es ist ein lebenslanger Prozess, der wahrscheinlich sogar noch nach dem Tod auf eine andere Art und Weise weiterlaufen wird. Mein persönlicher Durchbruch war daran zu erkennen, dass ich die Angst nicht komplett auflösen oder verstehen muss, um dennoch meinen Weg zu gehen und in Aktion zu treten. Ich nehme die Angst einfach mit und lass sie für mich arbeiten und nicht gegen mich.