IMPULS
Bräuche & Traditionen

Lerne von unterschiedlichen Experten und Autoren über die Kraft der Bräuche und Traditionen unserer Vorfahren.
Christine Dohler über die Bedeutung von Ritualen:
Rituale sollen uns schützen, Sinn stiften und uns mit anderen verbinden, sie geben Halt und Struktur, erinnern uns an den Jahreszyklus und die Kraft der Natur und lehren uns, die Wesen um uns herum wertzuschätzen – heute wie damals. Bei der Wiederbelebung von Ritualen geht es nicht darum, alten Aberglauben weiterzuspinnen, sondern ihren Sinn und Zweck in eine moderne Sprache zu übersetzen und eine eigene Version davon zu finden. Und das unsichtbare Band zu spüren, das uns mit unseren Vorfahren verbindet. Ich kann von mir sagen, dass ich eine unglaubliche Sehnsucht habe, meine Wurzeln in einer entwurzelten Welt zu finden. Daher nutze ich die Rauhnächte, um alles herunterzufahren und es dann mit der Kraft von Ritualen und Besinnung wieder hochzufahren.
Luisa Francia über die Göttin Percht und Frauen in den Rauhnächten:
In den Rauhnächten geht es darum, aus dem Rad der fortlaufenden Ereignisse auszusteigen, sich umzusehen und wahrzunehmen. Denn das Beenden von ungeliebten Gewohnheiten kann Räume freisetzen, von denen wir vorher nichts gewusst haben. Über die Göttin Percht, die Frauen und Kinder beschützt, sagt man, sie verbietet den Frauen, während der Rauhnächte zu arbeiten – auch bekannt als »Perchtentabu«. So haben früher Frauen während der Rauhnächte nicht gearbeitet, keine Wäsche gewaschen, sondern sich mit anderen Frauen in den Spinnstuben getroffen, gesungen und Geschichten ausgetauscht. Heutzutage wird das »Perchtentabu« oft falsch verstanden. Es ist keine Einschränkung für die Frauen. Vielmehr ist es ein Schutz für die Frauen und eine Möglichkeit, sich eine Auszeit zu nehmen und sich wieder mit der eigenen urweiblichen Kraft zu verbinden. Das bedeutet auch, dass Frauen, die in der Zeit waschen und werkeln wollen, es selbstverständlich gerne tun können.
Vera Griebert-Schröder über die Bedeutung der Lichter in den Fenstern:
Früher stellten die Bauern in den heiligen Nächten an alle vier Seiten ihres Hofes eine Kerze auf, um ihn und sich zu schützen. Die Menschen damals hatten einen deutlich stärkeren Bezug zum Dunkel als wir heute. Und so hatte auch das Licht ein anderes Gewicht – insbesondere in der Zeit, in der es sich rarmachte. Jede Nacht Kerzen brennen zu lassen, das war zwar teuer. Doch stand das Licht auch immer, ob bewusst oder unbewusst, für das eigene Lebenslicht, für das der Mensch Sorge tragen musste. So ist es ein Brauch auch in der heutigen Zeit während der zwölf Rauhnächte, ein Kerzenlicht ins Fenster zu stellen. Das kann unsere Erinnerung daran sein, das Licht in uns selbst, in den eigenen inneren Räumen, zu bewahren. Auch ist das Licht ein Gegenpol zum Dunkel dieser Zeit. Eine Abgrenzung gegen die Schatten, die die Macht übernommen zu haben scheinen.
Wibke Schultz über die Bedeutung der dunklen Zeit in der Chinesischen Medizin:
Der Winter ist die Zeit der Einkehr. Es ist die Zeit, in der die Natur sich zurückzieht, um ihre Kräfte fürs Frühjahr zu sammeln. In der Traditionellen Chinesischen Medizin ist der Winter die Zeit des Wassers. Die Blase und die Nieren repräsentieren die Wasserenergie im Körper und versorgen die Knochen und Zähne, das Nerven- und Hormonsystem und die Sexualorgane. Die Nieren speichern unsere energetischen Essenzen, sie beherbergen unsere Antriebskraft und unseren Lebenswillen. In dieser Zeit ist es daher wichtig, unsere Niere warm zu halten. Gut zu sich selbst zu sein und in einem weichen Bett, mit vielen Kissen und warmer kuscheliger Decke zu liegen, so mögen es die Nieren am liebsten. Einfach mal nichts tun und übers Leben nachdenken, nicht grübeln, sondern schwelgen in Erinnerungen und Gedanken. Denn Wasserenergie will entspannen und nur da sein. Kerzen anmachen, sich Kuschelsocken anziehen, warme Suppe schlürfen und träumen. Und so gewinnen wir neue Energie fürs neue Jahr. Denn je besser wir durch den Winter kommen, umso besser wird das nächste Jahr.
Franziska Muri über das Schicksal und die göttlichen Nornen:
Die drei Nornen werden auch gerne Schicksalsgöttinnen genannt. Sie sind es, die den Lebensfaden und das Schicksal spinnen, dem Menschen zuteilen und auch wieder abschneiden, wenn es mit ihm zu Ende gehen soll. Während der heiligen Nächte sollen nach altem Volksglauben ausgerechnet ihre Spinnräder besonders aktiv sein, während alle anderen Räder stillstehen und den Nornen so umso mehr Raum geben. Die Rauhnächte als Vorbereitung für das kommende Jahr, also für die Zukunft, sind eine Zeit, in der man das Blatt wenden kann. Hier eine Auszeit von den Mühlen des Alltags zu nehmen und besonders bewusst die Gedankenräder immer wieder mal zu unterbrechen und innezuhalten – das kann alles Weitere verwandeln. Man weiß wieder klarer, wer man ist und was man will. Und die Nornen können umso schönere Fäden in das Gewebe des Lebens hineinspinnen.
Elfie Courtenay über die Bedeutung vom Fliegenpilz, Frau Holle und die Wilde Jagd:
Nach germanischem Glauben galoppierte Odin während der Rauhnächte auf seinem achtbeinigen Ross Sleipnir über den Himmel, gefolgt von einem wilden Heer. Dabei tropfte der Speichel seines Pferdes auf die Erdmutter Wala, befruchtete sie und neun Monate später wurde der heilige Fliegenpilz geboren. Wer ihn verspeiste, so dachte man, konnte in die Anderswelt blicken und dort mit den Geistern der Ahnen sprechen. Deshalb gilt der Fliegenpilz auch heute noch als Glückssymbol für die Rauhnachtszeit. Doch nicht nur Odin war zur Rauhnachtszeit unterwegs: Auch Frau Holle zog mit ihrem unheimlichen Gefolge durch die Nächte. Sie herrscht über Tod und Ende des Winters und gebietet uns, während der Wilden Jagd innezuhalten, um uns aus dem äußeren Leben zurückzuziehen. Wir sollen ruhen, Rückschau halten, Altes abschließen und unseren Träumen und Visionen Raum geben. Wir sollen Vertrauen in unsere eigene Schöpferkraft haben und auch genügend Mut, um neue Wege einzuschlagen. Wenn wir diese Gebote befolgen, dürfen wir uns ihrer Unterstützung und ihres Schutzes sicher sein – so lautet ihr Versprechen.